Samstag, 17. Oktober 2015

Kommentar zum Urteil des EMGR in Fall Doğu Perinçek: Ein Menschenrecht wurde zum Arschlochrecht degradiert

Am 15. Oktober hat der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Urteil in der seit 2008 anhängigen Sache Perincek vs. Schweiz verkündet. Die Oberste Kammer des EGMR bestätigt als letzte Instanz das vorherige Urteil des EGMR vom 17.12.2013, in dem die Faktizität des Genozids an den Armeniern bereits infrage gestellt worden war und Dogu Perincek das uneingeschränkte Recht auf Meinungsäußerung entsprechend §10 der Europäischen Menschenrechtskonvention zuerkannt wurde; nach Ansicht des EGMR schließt dies das Recht ein, den Völkermord an den Armeniern des Osmanischen Reiches zu bezweifeln.


Wenn die Meinungsfreiheit nicht mehr dort endet, wo die Menschenwürde massiv verletzt wird, wird sie vom Menschenrecht zum Arschlochrecht degradiert.
Die Nachkommen der Völkermordsopfer würden in ihren neuen Heimaten lieber über die Jazzszene in Yerewan, Granatapfelwein, Konyak, Baden im Sewansee, den Volkstanz Kochari und das Potential Armeniens bei erneuerbaren Energien sprechen, statt sich ständig zur Völkermordsthematik zu äußern. Das können sie aber nicht, weil die bespiellos ethnozentrisch durchwucherte, geschichtsrevisionistische Leugnungspolitik der Türkei, als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, das Täter-Opfer-Verhältnis skrupellos radikal umkehrt, und sie dazu zwingt sich immer wieder für das Schicksal ihrer Vorfahren rechtfertigen zu müssen. Diese zum Himmel schreiend ungerechte Situation wird durch das Urteil des EMGR in der Causa Doğu Perinçek gegen die Schweiz weiter verschlimmert.
Gerade jetzt, da die sich seit mehr als einem halben Jahrzehnt die Fratze des türkischen Rassismus in Europa immer schärfer abzeichnet, bedeutet dieses Urteil einen weiteren fatalen Freibrief.
Die, der pro-kurdischen Partei HDP angehörenden, Opfer der Anschläge von Ankara vom Samstag, den 10.10.2015 werden bei der EM-Qualifikation in Konya von türkischen "Fans" ausgebuht und verhöhnt. Eine Spendenkampagne für, vor dem IS geflüchtete, vorwiegend yezidische Kurden im Shingalgebirge wird von der Drogeriemarktkette DM auf Druck türkischer Fundamentalisten abgesagt. Jetzt bekommen auch die armenischen, aramäischen und pontosgriechischen Nachkommen der Genozidopfer den immensen zerstörerischen Einfluß der xenophoben türkisch-rechtskonservativen Lobby in Europa, für die Perinçek als Wanderprediger fungiert, zu spüren. Das alles passierte innerhalb von nur einer Woche. Europa verkauft seine Werte im Eiltempo. Währenddessen wird Perinçek in der Türkei in den Rang eines Nationalhelden erhoben.


Doğu Perinçek ist nicht Irgendeiner. Er ist ein staatlich koordiniert und geförderter Scharfmacher, der türkische Migranten in Europa gezielt aufstacheln soll. Ein ochlokratisch organisiertes und semi-totalitäres System hat europäische Rechtsstaalichkeit erfolgreich unterlaufen, und besiegt. Das ist zu einem Zeitpunkt, wo der türkische Rassismus eine neue Dimension erreicht hat, ein denkbar falsches Signal.



Zum Weiterlesen und besseren Verständnis:

1.) Istanbul, 13. März 2014: Notorischer Genozidleugner Doğu Perinçek in der Türkei vorzeitig aus der Haft entlassen: „WIR SIND WIE EIN GEZOGENES SCHWERT!“
2.) Straßburg, 15. Oktober 2015: EGMR verurteilt schweizerische Justiz und erlaubt Genozidleugnung im Rahmen der Meinungsfreiheit
3.) Pressemitteilung der Gesellschaft Schweiz
- Armenien (GSA)

4.) Pfiffe und Buhrufe für die Terroropfer von Ankara
5.) Heulsuse der Woche: rassistische Flüchtlingsgegner vs. nationalistische Deutschtürken
6.) Kein Rassismus in der Türkei!
7.) Türkischer Rassismus im Nationalstaat Türkei am Beispiel der Kurden
8.) Türkische Gemeinde zu Berlin hetzt gegen Kurden in Deutschland
9.) Robert Fulford: Turkey is increasingly unable to handle criticism
10.) «Völkermord oder nicht ist keine demokratische Ausmarchung»
11.) Das Gericht schadet sich selbst

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