Sonntag, 24. August 2014

Die Ikurriñafalle: Was wir durch die Basken über Jürgen Todenhöfer lernen können

Jürgen Todenhöfer, „gute Koloniallisten – böse Kolonialisten“ und die Basken

Wer den Titel liest, wird vielleicht erst einmal sehr verwirrt sein und nicht auf Anhieb verstehen, was Jürgen Todenhöfer mit dem tradidionsreichen Volk am Golf von Biskaya zu tun hat. Genau hier liegt der Knackpunkt. Todenhöfer spricht, von der breiten Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, sehr oft über die Basken. Es erweist sich jedoch als sehr ergiebig und aufschlussreich sich ihm aus einer anderen Richtung zu nähern. Dabei kommt er alles andere als gut weg.




Es reicht

Es geht nicht mehr. Jürgen Todenhöfer ist eine sympathische Erscheinung. Er glänzt durch soziales Engagement, eine ruhige Redeweise sowie eine schüchtern verschmitzte Zurückhaltung, die sich so mancher Politiker bei ihm abschauen könnte.
Ich habe nach seinen Äußerungen und oft sehr guten Artikeln zu Irak und Syrien sowie für sein Engagement in Afghanistan einmal große Stücke auf Jürgen Todenhöfer gehalten.
Nachdem ich aber vor ca. einem Jahr seine Facebookseite entdeckt habe, ist es aber mit meiner Sympathie für ihn vorbei. Auch wenn ich lange hin und her überlegt habe, ob Kritik an ihm aus oben genannten Gründen überhaupt zulässig ist, geht es nicht mehr. Die Statements, die Todenhöfer insbesondere via Facebook in den letzten Wochen von sich gibt, gebieten, dass die heilige Kuh geschlachtet werden muss.


Todenhöfer, das Francoregime und die Basken

Auslöser war nachstehendes Zitat aus der „Welt“: "Die IRA und Eta wurden auch nicht mit Kriegseinsätzen bekämpft", sagte Todenhöfer. Von Michael Wolffsohn bekam er darauf eine trockene und klare Antwort: "Die IRA hat auch niemals Raketen auf London geschossen."
In diesem Zitat offenbart Todenhöfer seine größte Schwäche: Er verfügt lediglich über ein mangelhaftes historisches Wissen. Was mich besonders stört ist, dass er dabei wiederholt mit seinem nicht einmal Halbwissen, sondern seiner veritablen Unkenntnis, bzgl. des baskischen Widerstands argumentiert.
Zu behaupten, die ETA sei niemals militärisch bekämpft worden, ist blanker Nonsens.
Zur Erklärung: Die Basken sind ein Volk von ca. 3,5 Millionen Menschen am Golf von Biskaya, die zu 75% in Spanien und 25% in Frankreich leben. Ihre bedeutendsten Städte sind Bilbao, San Sebastian, Biarritz und Bayonne. Ihre Kultur ist uralt und ihre Sprache ist im Gegensatz zu den sie umgebenden Sprachen Spanisch, Französisch und Okzitanisch keine romanische (genetisch eingeordnet), synthetische (typologisch eingeordnet) Sprache sondern eine agglutinierende Sprache, die genetisch eingeordnet der ukrischen Sprachfamilie, also dem Finnischen und dem Ungarischen, nahe steht. In Frankreich verloren sie bereits nach der französischen Revolution ihre Sonderrechte und ein Freiheitskampf fand dort nicht mehr statt. In Spanien jedoch konnten sie von ihnen bis zur Übernahme der faschistischen Militärdiktatur General Francos davon profitieren. Mit dem spanischen Bürgerkrieg und der Herauskristallisierung eines Sieges der Faschisten verloren die Basken nicht nur ihre Sonderrechte sondern eine brutale Unterdrückung ihre Sprache und Kultur, die gut ein halbes Jahrhundert andauern sollte, begann.
Man muss wissen, dass die ETA überhaupt erst als Reaktion auf die Progrome und die angesprochenen Verboten gegenüber der baskischen Zivilbevölkerung zu Zeiten des Franco-Regimes 1959, also 23 Jahre nach der Machtergreifung des Hitler-Kollaborateurs, entstanden ist. Die baskischen Opferzahlen der Massaker des Franco-Regimes, durch das Gemälde von Pablo Picasso wohl ist hier Guernica wohl als das bekannteste zu nennen, belaufen sich auf zwischen 250.000 und 1 Million Menschen. Verschiedene Quellen machen hier oft sehr unterschiedliche Angaben. Ramon Sola, Ko-Autor von “Demain, Euskal Herria : Entretien avec Arnaldo Otegi“ spricht sogar von einem veritablen Genozid, dessen Opferzahlen die des südafrikanischen Apartheitsregimes sowie die von Srebrenica deutlich übersteigen würden (siehe u.a.: http://gara.naiz.eus/paperezkoa/20090329/129605/es/El-impacto-genocidio-franquista-supera-Sudafrica-o-Argentin)
Im Spät- und Postfrancoismus wurden Massaker an Basken von der erst 2003 aufgelösten faschistisch-paramilitärischen Einheit GAL durchgeführt. Das Franco-Regime ebenso wie die britische Thatcher-Regierung waren Unterstützer der GAL. Das traurigste und bekannteste in Gasteiz (span. Vitoria) am dritten März 1976. Todenhöfer sollte sich dazu dringendst Lluis Llachs Dokumentarfilm "La revolta permanent" ansehen. Die Basken wurden also, entgegen Todenhöfers Behauptungen zwischen den 1930ern bis in 1980ern hinein, vor und nach Gründung er ETA, über ein halbes Jahrhundert lang, immer wieder militärisch, also mit Kriegseinsätzen bekämpft.
Die Basken mussten sich organisieren, damit ihre Kultur und Sprache nicht durch das Franco-Regime und die postfrancoistischen Militärmachthaber und die Paramilitärs, die bis tief in die 1980er Staatsterror und das Ziel einer Monoethnisierung Spaniens verbreiteten, vernichtet werden. Eine Einstufung der ETA als Terrororganisation, wie sie im Übrigen vor 2002 nur von den USA, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich erfolgte (kein anderer Staat!!!), ist vor 1992, kategorial ohne Wenn und Aber abzulehnen. Erst 2003 legte auch die auf keiner internationalen Terrorliste zu findende faschistische GAL, die im Baskenland u.a. aufgrund des bereits angesprochenen Massakers von Gasteiz, als ständige Bedrohung angesehen werden musste, die Waffen nieder. Wenn man es richtig überspitzt formulieren möchte, was angesichts der Tatsache, dass Todenhöfer seine Kritiker in einem Facebookbeitrag vom 12.August 2014 mit der Anrede „LIEBE BOMBENFREUNDE“ verunglimpft, verständlich erscheint, könnte man durchaus behaupten, dass Todenhöfer, so er denn über ihre Existenz Bescheid weiß, Sympathie für diese faschistische Gruppierung hegt.
Es ist in jedem Fall bezeichnend, dass Todenhöfer hier genau mit den Staaten so bedingungslos d’accord geht, an denen er, geht es um den Nahen Osten, kein gutes Haar zu lassen vermag. Wenn ein Volk sich gegen faschistische Monoethnisierungsmaßnahmen und rechtsgerichtete Konterguerilla auflehnt und formiert, dann ist das nach Todenhöfers Logik also „Terrorismus“.
Siehe u.a. : http://es.wikipedia.org/wiki/Terrorismo_tardofranquista


Herr Jürgen Todenhöfer, Ihr Engagement in allen Ehren, aber hören Sie endlich auf, historische Unwahrheiten zu verbreiten und den baskischen Freiheitskampf für Ihre Zwecke zu falsifizieren und zu verunglimpfen!

Ob Todenhöfer das aus bloßer Unwissenheit oder kühler Berechnung tun, sei dahin gestellt. Wer von seinen Groupies weiß schon, wer oder was Basken sind bzw. kennt die Geschichte des spanischen Bürgerkrieges und der Militärdiktatur?! Das wäre auch fatal für die mehreren tausend Hobbyosmanen und Fans des neofaschistischen aserbaidschanischen Aliyev-Regimes auf Todenhöfers Facebookseite. Die Parallelen zwischen dem baskischen und dem kurdischen Freiheitskampf von den 1930ern bis zum Greifen der spanischen Autonomiegesetze für das Baskenland würden deren Weltbild wohl zu sehr erschüttern, und zu stark offenbaren, dass der Friedenprozess mit den Kurden einzig und allein am Unwillen des türkischen Staates scheitert diejenigen Reformen zu vollziehen, die Spanien in den 1990ern konsequent für das Baskenland, Katalanien und Galizien umgesetzt hat.
Er verzerrt auf historisch erschreckend falsifizierende Weise die Sicht auf ein Volk und dessen von der Bedrohung der eigenen Existenz getriebenen Widerstandskampf, um die eigenen Ansichten zu rechtfertigen. Das ist bei genauerer Betrachtung auch typisch für seinen Stil.


Der Doppelmoralist und seine guten und bösen Kolonialisten

Neben dem eingangs angeführten Zitat ist dies u.a. in seiner These 3 besonders markant. Wieder einmal dient ihm hier u.a. die ETA als Beispiel. Weiß er eigentlich, dass er 1.) hier indirekt das faschistische Franco-Regime in Schutz nimmt und 2.) sich früher in der These einen kapitalen Bock schießt, auf den jeder Jagdpächter stolz wäre: Er spricht von „zionistische[n] Terrororganisationen“ – wie die „Irgun“ Menachem Begins sowie die sich selbst terroristisch nennenden „Kämpfer für die Freiheit Israels“ Jitzchak Schamirs. Sie kämpften mit Terror gegen Briten und Araber für ein freies Israel“. Hier nimmt er genau den Kolonialismus in Schutz, den er sonst so verurteilt. Er spricht immer wieder von einer „Teile und Herrsche“ – Mentalität des Westens in Bezug auf den Nahen Osten und verurteilt diese immer wieder aufs Schärfste. Tut er das aber wirklich konsequent? – Nein!
Eine False Flag Operation und Völkerrechtsbeugung der Briten und der USA fand im Zuge des Einmarschs in den Irak 2003 zweifelsohne statt. Angesichts der Unterdrückung der Kurden im Irak und des Massakers von Halabdscha, muss man aber einräumen, dass eine Intervention aus menschenrechtlicher Sicht stattfinden musste. Sie war allerdings in der Tat in Bezug auf das, was danach kommt, nicht ausreichend durchdacht. Hier hätte man damals schon über eine Teilung des Landes nachdenken müssen. Man muss hierzu wissen, dass die bis heute geltenden Grenzen des Irak vom britischen Symmetriefanatiker Lord Balfour festgelegt wurden. Für ihn mussten sie vor allem geradlinig verlaufen. Tatsächliche ethnische und religiöse Gegebenheiten spielten keine Rolle.
Was heute im Irak passiert ist eine Überschwemmung. Es ist insofern eine Überschwemmung, als dass man Völker ebenso wie einen Fluss nicht dauerhaft begradigen kann. Es geht vielleicht eine Zeit lang, aber irgendwann bahnen sie sich ihren Weg. Nur durch eine Teilung des Irak und ein freies unabhängiges Kurdistan können die „Teile und Herrsche“-Relikte aus britischer Kolonialzeit beseitigt werden. Todenhöfer lehnt dies aber ab.
Jürgen Todenhöfer offenbart, das muss man klipp und klar sagen, den Doppelmoralisten. Im Irak waren die Briten im 21. Jahrhundert unrechtmäßige Besatzer aber gleichzeitig soll an ihren rücksichtslos gezogenen Grenzen festgehalten werden, und im Israel der 1920er legitime Kolonialherrscher gegen die sich kein Freiheitskampf zu formieren hatte dürfen? Das ist ein ganz bizarres Rechtverständnis: In Israel darf man „teilen und herrschen“, während man es weiter nordöstlich nicht darf? Ganz oder gar nicht!


HAMAS hui, aber PKK, ETA, IRA pfui

Wie dem auch sei und um auf das eingangs erwähnte Zitat aus der „Welt“ zurück zu kommen. Abschließend bleibt stehen, dass im Gegensatz zur Hamas gegenüber Israel, ETA, PKK und IRA niemals das erklärte Ziel hatten Spanien, die Türkei oder Großbritannien zu vernichten. Ziel war stets der Erhalt der Kultur ihrer Völker und deren Autonomie gegenüber Staaten, die diese lange vor der Gründung der Guerillas bedrohten haben und kontinuierlich weiter bedrohten. ETA und IRA haben dies erreicht und die Waffen niedergelegt. Diese Guerillas entstanden in Folge brutaler staatlicher, mit Massakern verbundenen, Repressionen gegenüber baskischer, kurdischer und irisch-gälischer Kultur. Egal, ob wir von der IRA, der ETA oder der PKK sprechen, wir müssen uns vor Augen führen, dass sie den bewaffneten Kampf erst nach Jahrzehnte andauernder Unterdrückung überhaupt erst aufgenommen haben. Dass sie im Rahmen ihres Guerillakampfes zu Anschlägen als Mittel griffen, ist zu verurteilen, muss aber im Kontext der staatlichen Repressionen und Massakern an ihren Völkern und vor dem Hintergrund der vor allem im Falle der Türkei und der spanischen Militärdiktatur gegebenen Auslöschungsabsicht der kulturellen Identität der Basken bzw. Kurden gesehen werden.
Man könnte eventuell die Fatah in die Tradition der o.g. Guerillas einordnen. Die Hamas grenzt sich aber durch ihre Vernichtungsabsicht gegenüber dem Staat Israel und dessen mehrheitlich jüdischer Bevölkerung ganz klar von ihnen ab.
Letztendlich bleibt nach all dem die Erkenntnis, dass sobald Todenhöfer etwas von der „ETA“ oder den Basken erzählt, die Alarmglocken läuten sollten. Hier setzt er entweder wissentlich darauf, dass es so gut wie keine Referenzwerke über die Geschichte des baskischen Widerstandes in deutscher Sprache gibt, die seine Äußerungen darüber als schlichtweg falsch entlarven, oder er hat ganz einfach selbst keine Ahnung.


Arme Geschichts- und Politiklehrer

Das Beispiel des baskischen Freiheitskampfes ist nur eines von vielen. Todenhöfer wirft in seinen Statements inflationär mit Namen historischer und politischer Bewegungen um sich. Dabei ordnet er sie stets in ein, ihnen und ihrer Geschichte, so gut wie nie auch nur ansatzweise gerecht werdendes „Gut-Böse-Schema“ ein. So stellte er in Vergangenheit die konfessionelle Spaltung des Islam als Verschwörung des Westens dar. Dabei hat im Jahr 661 n.Chr. nun wirklich noch niemand an NATO oder EU gedacht. Ebenso fordert er einen neuen „friedlichen Panarabismus und Panislamimus“. Zwar relativiert er geschickt durch den Zusatz des Wortes „friedlich“. Was diese Ideologien, die er in einen Beitrag vom 11. Dezember 2013 beschwört, über seine Position zur Existenz Israels sowie zu den Hamidischen Massakern und dem Massaker von Adana an mehreren hunderttausend Armeniern und Assyrern 1894 bis 1896 bzw. 1909 aussagen, lässt sich unschwer ableiten. Hierzu muss man u.a. wissen, dass letzte Sultan Abdül Hamit II, diese Massaker mit der Ideologie des Panislamismus rechtfertigte. Überspitzt könnte man auch wieder formulieren, Todenhöfer sympathisiert mit den Kriegsverbrechen Aliya Izetbegovics im Jugoslawienkrieg. In derselben Linie steht ein Posting vom 14. August 2014, in dem er „den Westen“ für die Revision der im Vertrag von Sèvres vorgesehenen kurdischen Autonomie verantwortlich macht. Das ist nicht gänzlich falsch. Die treibende Kraft diesbezüglich war aber Mustafa Kemal Atatürk im Zuge des sog. „Zweiten Kemalismus“. Diese Themen aber ausführlich zu behandeln, bedürfte es ganzer Bände von Büchern.

Wissenschaftliche Leseempfehlungen zum letzten Absatz, in denen auf die Ideologie des Panislamismus und seine teils veheerende Wirkung erläutern:
- Mirjana Hennig (2013): Identitätsabgrenzungen in Bosnien und Herzegowina: Unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Identitätsbildung der Bosniaken
- Taner Akçam (2006): A Shameful Act: The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility.
- Gunnar Heinsohn (1999): Lexikon der Völkermorde
- María Teresa Aya Smitmans (2005): Los árabes: ¿entre el panislamismo y el fundamentalismo islámico?
- Hans-Lukas Kieser (2006): Turkey Beyond Nationalism: Towards Post-Nationalist Identities



Die Geschichtslehrer und Politologen im deutschsprachigen Raum sollten angesichts der großen Fangemeinde Todenhöfers gewarnt sein. Der sorglose oder vielleicht sogar berechnend manipulative Umgang sowie die daraus resultierenden Halb- und Unwahrheiten, die sich durch Jürgen Todenhöfers Facebookseite verbreiten, sind gefährlicher Nährboden für Verschwörungstheorien!



Weitere Leseempfehlung:
http://arprin.wordpress.com/2011/05/30/der-mit-den-arabern-leidet-jurgen-todenhofer-und-der-nahe-osten-teil-4/