Sonntag, 6. April 2014

Eine Analyse zur wachsenden Skepsis gegenüber den USA - Der NSA-Skandal ist nur pars pro toto

Gute zwei Jahre dauert mittlerweile die Anti-Russland-Kampagne der deutschen Medien. Schon lange vor Ausbruch der Krimkrise bekamen die Zuschauer der Tagesschau, ZDF heute sowie der Privatsender anfangs wöchentlich und später mit immer höherer Frequenz ausschließlich negative Berichte mit zweifelhaft konnotierter Rhetorik über „Putins Reich“ vorgesetzt.
Zeitgleich findet im selben Zeitraum eine beispiellos zensierte und einseitige Kampagne deutscher Nachrichtensendungen über den syrischen Bürgerkrieg statt.
Das alles passiert in einer Zeit, in der sich Deutschland über einen europaweit wirtschaftlichen Aufschwung erfreut, aber die durch US-Zockerbanken ausgelöste Weltwirtschaftskrise dennoch in den Köpfen vieler Menschen weiterhin präsent ist.

In diese Zeit nun fällt ein Statement des Bundespräsidenten, in dem er sich kategorisch gegen Volksentscheide ausspricht, weil er „dem Volk“ dessen Repräsentant er sein sollte, politisch komplexe Entscheidungen nicht zutraue.
Passend dazu erschien in der Onlineausgabe der Welt am Samstag, den 05.April 2014 ein Artikel mit folgender Überschrift und
„Deutsche Distanz zu den USA beunruhigt die Politik - 49 Prozent der Bürger favorisieren inzwischen eine "mittlere Position zwischen dem Westen und Russland". Dieser Wandel beunruhigt die Politik, die die Ursachen dafür auch in der NSA-Affäre sieht“
Der komplette Artikel kann unter nachstehendem Link nachgelesen werden: Die Welt: Deutsche Distanz zu den USA beunruhigt die Politik

Ich habe Cem Özdemir immer als sehr besonnen Politiker und guten Analytiker geschätzt. Des Weiteren würde ich nach wie vor trotz vielerseits heftig geäußerter Kritik jedem Einsteiger in die Thematik sein 2008 erschienenes Buch „Die Türkei: Politik, Religion, Kultur“ empfehlen. Freilich geht dieses Werk nicht wirklich in die Tiefe. Für Einsteiger in die Thematik halte ich es jedoch für ideal geeignet, um sich ein gewisses Grundwissen anzueignen, bevor man sich mit beispielsweise Hasan Kaygisiz auseinandersetzen kann.
Für seine in der Welt wie folgt zitierte Äußerung zur o.g. Thematik habe ich allerdings nun kein Verständnis mehr übrig und muss, auch wenn es mir aufgrund einer gewissen Sympathie schwer fällt, Kritik üben.
Dort ist von Herrn Özdemir Folgendes zu lesen: "Dass die Bürgerinnen und Bürger Deutschland künftig stärker zwischen dem Westen und Russland sehen wollen, ist sicher Realität, aber nichts, was dazu führen darf, dass wir diesem Wunsch nachgeben".
Hier liegt der erste Kritikpunkt, dessen Quintessenz ich auch Herrn Gauck entgegenhalten möchte. Wenn die Politik in einer Demokratie die Wünsche, Sorgen und Ängste einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger nicht mehr ernst nimmt oder sie einfach übergehen möchte und übergeht, muss man sich wirklich fragen, ob Politikern wie Herrn Özdemir, Herrn Gauck, der kompletten Bundesregierung und den Mitgliedern der Medienräte von ARD und ZDF nicht der Bezug zu ihrem Berufsethos abhanden gegangen ist. Dieses zeichnet sich schließlich wesentlich durch die Rolle des Volksrepräsentanten und nicht des Volksbevormunder im Dienste anderer Staaten aus.
Zur Erinnerung, das Wort Demokratie setzt sich aus den altgriechischen Worten „Demos“ (das Volk) und „kratein“ (herrschen) zusammen.
Können wir ernsthaft angesichts solcher Äußerungen quer durch politische Führungsriege Deutschlands wirklich noch von einer Demokratie sprechen?
Sind wir angesichts dieses Unwillens Stimmungslagen einer Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zu repräsentieren, und der damit einhergehenden Ignoranz bzw. schon Arroganz demgegenüber bereits in einer anderen Herrschaftsform angekommen?
Die Entscheidung, ob wir nun in einer parlamentarischen Aristokratie (von altgriechisch „hoi aristoi“ – die Besten, „kratein“ – herrschen), also einer Herrschaft der Besten, oder einer Oligarchie (von altgriechisch „hoi oligoi“ – die Wenigen, archein – herrschen), also einer Herrschaft der Wenigen leben, bleibt dabei der Wahrnehmung der Einzelnen überlassen.
Fakt jedoch wird immer stärker, dass der Wille der Bürgerinnen und Bürger offenbar keine Bedeutung mehr für die Spitzenpolitik zu haben scheint und sie damit nun auch erschreckend offen umgeht. Bei Herrn Özdemir und anderen Politikern der Grünen wiegen solche Äußerungen besonders schwer, da sie sich statt, wie es ihre Aufgabe wäre, nicht Oppositionsarbeit leisten sondern sich nur noch bei der CDU und SPD für künftige Koalitionen anzubiedern scheinen.
Ich möchte unterstreichen:
Es ist nicht so, wie die laute polemische Fraktion der Hardcore-Atlantiker gerne behauptet, dass 49% sich für eine Bindung an Russland, oder wie sie zu sagen pflegen „Putins Zarenreich des Bösen“ ausgesprochen hätten. Sie halten lediglich eine „mittlere Position zwischen dem Westen und Russland“ für angebrachter, als wie aktuell der Fall blind, unkritisch und unkontrovers die von den USA vorgegebenen außenpolitischen Positionen zu übernehmen. Es geht also nicht um den Wunsch nach einer 180°-Drehung von einer radikalen Position zur Anderen sondern lediglich um den Wunsch nach einer unabhängigen Mediatorenrolle, die im Übrigen allein schon die geografische Lage Deutschlands und Europas nahe legen würde.
Dass dieser Wunsch für CDU, SPD und Grüne schon zu viel verlangt ist, um auch nur auf ihn einzugehen geschweige denn ihn ernst zu nehmen, legt die Vermutung nahe, dass große Teile der Parteispitzen offenbar jeglichen Bezug zu ihrem Berufsethos verloren haben. Politiker, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Rolle als die eines Volksrepräsentanten zu interpretieren, haben, so deutlich muss man sein, ihren Beruf verfehlt!
Wer mir nun Populismus vorwirft, dem danke ich bereits vorsorglich für dieses Kompliment. Lässt sich das Wort Populismus doch schließlich auf „vox populi“ (lateinisch „Die Stimme des Volkes“) zurückführen und halte ihnen gerne unter Bezug auf die antike römische Rhetorik entgegen, dass ich es für besser halte die „vox populi“ zu unterstützen statt arroganter- und ignoraterweise der Illusion aufsitzen man könne im Stile absolutistischer Herrscher mit der „vox dei“ (Stimme Gottes) sprechen.

Die Arroganz und Ignoranz, die der Artikel der Welt zu Vorschein bringt, geht jedoch weiter und äußert sich in der Vermutung Özdemirs sowie des ebenfalls zu Wort kommenden CDU-Politikers Elmar Brok, dieses Stimmungsbild sei lediglich Produkt des NSA-Skandals.
Nun ist er sicherlich auch ein wesentlicher Grund für die US-kritische Stimmungslage innerhalb weiter Teile der Bevölkerung der Bundesrepublik. Hierin aber den einzigen Grund dafür zu sehen und somit den Bürgerinnen und Bürgern zu unterstellen andere außenpolitische Sachverhalte nicht durchschauen zu können, ist für eine Analyse der Stimmungslage aber vollkommen unzureichend.
Eine weitere entscheidende Rolle spielt sicherlich der moralische Anspruch der USA und der der NATO gegenüber vermeintlichen „Feindstaaten“ wie Russland, den sie jedoch, für immer mehr Menschen ersichtlich, nicht einmal ansatzweise an sich selbst stellen.
Nachgiebigkeit gegenüber zu Zockerbuden verkommenen Banken wie Goldmann & Sachs, Liquidierungen per Joystick durch auf der halben Erdkugel geführte Drohnenkriege, der Fortbestand einer künstlich geschaffenen menschenrechtsfreien Zone wie „Guantanamo“ sowie eine völkerrechtlich fragwürdige Rolle in einer Vielzahl von Konflikten in Lateinamerika, bei der Bombadierung von Belgrad im Zuge des Kosovokonflikts oder im letzten Irakkrieg, sind nur einige jedem auch nur mäßig informiertem Menschen hierzulande bekannte Gründe abseits des NSA-Skandals, warum das ehemals gute US-Image in Deutschland stark bröckelt.

Etwas ausführlicher muss man sich die Komponente syrischer Bürgerkrieg angehen. Hier wird seitens deutscher Medien seit Jahren ein Bild gezeichnet, dass die Realität nicht ansatzweise wiederspiegelt.
- Ebenso wie in den USA wird versucht zu vertuschen, dass der Großteil des militärischen Kampfes gegen Assad aus z.B. Saudi-Arabien, Tschetschenien, der Türkei, Aserbaidschan oder Usbekistan rekrutierten radikal-sunnitischen Importterroristen der Al Nusra oder der ISIS besteht, die eindeutig genozidale Intentionen gegenüber Alawiten, orientalischen Christen, Drusen und Kurden verfolgen. Die von der NATO unterstützte FSA (Freie Syrische Armee) hat bis vor einigen Monaten mit diesen Kräften zusammengearbeitet. Ist diese Kooperation mittlerweile offenbar aufgelöst, erfolgt jedoch seitens der NATO keinerlei Distanzierung von den o.g. Al Kaida Ablegern. Im Gegenteil, es gilt als gesichert, dass diese die Grenzregionen der Südosttürkei, also eines NATO-Staates, als Rückzuggebiet nutzen, und dort sogar medizinische und logistische Unterstützung bekommen.
- Neben der syrischen Armee Assads, der FSA und radikalen Al Kaida Mordkommandos gibt es eine Kriegspartei, die dem Westen ein ganz besonderer Dorn im Auge zu sein scheint. So verwundert es wenig bis gar nicht, dass in den Nachrichtensendungen niemals die Rede von den kurdischen Volksverteidigungskräften ist. Diese sind die mit Abstand am demokratischsten organisierte Kriegspartei, in der nicht nur Männer wie Frauen gleichermaßen sondern auch, und das unterscheidet sie von den ausschließlich sunnitischen NATO-Günstlingen, Angehörige aller Religionen, Konfessionen und Volksgruppen sich wiederfinden; sunnitische Kurden, alawitische Araber, Drusen sowie christliche Assyrer, Armenier und Araber.
- Besonders skandalös ist, dass das bislang verheerendste Massaker des syrischen Bürgerkrieges an über 300 kurdischen Zivilisten im August 2013 in Rojava weder westliche Parlamente beschäftigte noch Einzug in westliche Televisionsmedien haben durfte. Ebenso wie die aktuellen Vertreibungen im teils armenisch und teils alawitisch bevölkerten Ort Kessab geht es auf das Konto von Al Nusra und ISIS und findet mit Ausnahme von Kanada null Resonanz in westlichen Nachrichtensendungen, geschweige denn dass sich Menschenrechts-kommissionen oder Ausschüsse entsprechender Parlament damit beschäftigen würden. Lediglich Russland und Armenien protestierten in der UN.
Gerade hier entgeht vielen nicht, dass die NATO nicht, wie propagiert, auf demokratische (das wären nämlich in erster Linie die kurdischen Einheiten) sondern auf zwielichtige Kräfte setzt. Damit verbunden ist logischerweise die Schlussfolgerung, dass die Rolle Russlands entgegen der medialen Darstellung sowie des Tenors der deutschen Spitzenpolitik nicht rein negativ zu bewerten ist.
Viele, selbst politisch nur mäßig interessierte Bundesbürgerinnen und –bürger, nehmen diese nicht mehr zu rechtfertigende und offenkundig auf transatlantischen Druck zustande kommende Doppelmoral, u.a. durch den Dialog mit syrischstämmigen Migranten durchaus wahr und fühlen sich zurecht von der Politik und den Nachrichtensendungen hinters Licht geführt. Sie durchschauen die extrem dreist gewordenen Indoktrinations- und zensurversuche. Sie sehnen sich nach mehr Neutralität sehen im durch Politik sowie Tagesschau und Co. auferlegten Tabu, keinerlei Kritik am durch die außenpolitischen Interessen der USA gelenkten Verhalten der NATO äußern zu dürfen, aus nachvollziehbaren Gründen eine Gängelung, ja sogar eine Entmündigung.

In Zeiten wirtschaftlichen Wohlstandes führen ein solches Verhalten und solche Meinungen zwar nicht zu tiefgreifenden politischen Veränderungen, da für die wenigsten Menschen an der Wahlurne außenpolitische Prioritäten setzen. Laut Kontratief folgt auf einen Aufschwung aber immer irgendwann eine Rezension. Mit Hinblick darauf sollten sich GroKo und Grüne schon aus eigenem Interesse überlegen, ob sie mit diese Ignoranz fortsetzen wollen.

Die wachsende Skepsis gegenüber den USA ist jedoch nicht, wie dargestellt, allein das Resultat des NSA-Skandals oder gar, wie reflexionsunfähige Hardcore-Atlantiker es versuchen darzustellen, ein russischer Propagandaerfolg. Sie ist vielmehr hausgemacht durch Doppelmoral und Ignoranz von Politikern aller Parteien, mit Ausnahme der Linken, sowie einer offenkundig politisch motivierten und erschreckend einseitig gewordenen Berichterstattung in allen zur Primetime ausgestrahlten Nachrichtensendungen des deutschen Fernsehens geschuldet.

Nota bene:
Auf die Krimkrise und den im Artikel der Welt geäußerten Vorwurf einer mangelnden Empathie der deutschen Bevölkerung gegenüber den osteuropäischen NATO-Staaten bin ich nicht eingegangen, empfehle hierzu aber meinen nachstehenden Artikel:
Die Krimkrise in den Medien

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